Karlsbader Mitteilungsblatt

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Dr. Ruez - ein legendärer Landarzt

22.02.2011 – 31.03.2011

Aus der Ortsgeschichte

Noch viele Jahrzehnte nach seinem Wegzug aus Langensteinbach wird immer wieder von ihm gesprochen. Dr. Ruez hat durch seine einfache Lebensart aber auch durch seinen Fleiß und durch seine Zuverlässigkeit ganz einfach die Sympathien der Landbevölkerung erworben. Er betreute nicht nur Langensteinbach, sondern vor allem auch Reichenbach, dem er als Katholik besonders verbunden war, und dazu Auerbach, Mutschelbach und auch Spielberg. Und diese Orte besuchte er täglich nur mit dem Fahrrad. Ein Auto besaß er nie. Sehr oft war die Anekdote von dem fahrradfahrenden Doktor zu hören, der auf der Lenkstange meist eine Zeitung liegen hatte, die er unterwegs las. Wie früher üblich, besuchte auch Dr. Ruez seine Patienten zu Hause. Oft kam er schon in aller Herrgottsfrühe in die Häuser. Es konnte durchaus möglich sein, dass die ganze Familie noch im Bett lag, wenn er durch Klopfen Einlass begehrte. Er hatte in den einzelnen Orten seine Häuser, bei denen die Krankheitsfälle angemeldet wurden. In Reichenbach war es z.B. der "Engel". Dort lag über der Theke ein kleines Notizbuch, in dem die Kranken notiert waren, die einen Besuch des Arztes benötigten oder wünschten. Er kam in das Gasthaus, las die Namen, notierte sie jedoch nicht auf, sondern behielt sie im Gedächtnis. Er überlegte kurz, wer seinen Besuch wohl am dringendsten benötigte. "Zu dieser Frau muss ich sofort, sie liegt schon in den Wehen" bemerkte er z.B. kurz und verschwand. Dr. Ruez half nicht nur bei Krankheiten, sondern auch bei Geburten und operierte auch schon mal auf dem Küchentisch. Auch einen Knochenbruch konnte er einrichten - wenn auch ohne Narkose. Ob er auch immer die entsprechende Vergütung erhielt, dürfte fraglich sein. Er beklagte sich manchmal, dass er so viele Eier bekommen würde, dass sie in seinem Haushalt überhaupt nicht verwendet werden konnten. Kam er in ein Haus, in dem gerade Brot gebacken wurde, so bestimmte er allerdings, dass er von diesem Brot einen Laib haben wolle oder auch müsse. Dr. Ruez verschwand 1938 ohne Verabschiedung und ganz still aus dem Ort. Das hatte seinen Grund. Er war Halbjude. Ob er gedrängt wurde zu gehen oder gar schikaniert wurde, ist nicht bekannt. Doch da war die ungute Geschichte seines Nachbarn, des jüdischen Sägewerkbesitzers Weil, der weitsichtig schon 1936 die Flucht ergriff und heimlich nach Amerika ging.

Dr Ruez

Dr. Ruez

Im Ort war nicht bekannt, wohin Dr. Ruez ging und wie es ihm weiter erging. Es waren nur wenig Akten über ihn zu finden. Da ist zum einen die erstaunliche Akte des Bürgermeisteramtes Langensteinbach, Amtsbezirk Durlach, in der Dr. Josef Ruez die Aufnahme in den Badischen Staatsverband beantragte. Sie ist datiert vom 27. September 1919 und soll hier, da äußerst aufschlussreich, im Wortlaut wiedergegeben werden: "Dr. med. Josef Ruez hat um Erwerbung der badischen Staatsangehörigkeit nachgesucht. Er ist geboren am 6. April 1879 - Amöneburg, Provinz Hessen- Nassau, und besitzt durch Abstammung die Hessische Staatsangehörigkeit. Dessen Ehefrau Nora geb. Held ist geboren am 2. März 1884 in Bergen bei Traunstein in Oberbayern ist von Geburt bayerische Staatsangehörige. Die Eheleue Ruez haben ein Kind, Eva, geboren am 11. Januar 1910. Dr. Ruez ist seit dem 1. Januar d.J. hier wohnhaft, hat ein sehr gutes Ansehen(?), es bestehen seitens des Gemeinderates gegen die Aufnahme in den Bad. Staatsverband keine Bedenken". Unterschrieben hat J.W. Wettach, offenbar in Vertretung von Bürgermeister Schöpfle. Diesem Schreiben, das beim Badischen Generallandesarchiv lagert, ist neben anderen Schriftstücken auch der Staatsangehörigkeitsausweis beigefügt, der am 10. Dezember 1919 ausgestellt wurde. Wann Dr. Ruez hierher kam, ist dadurch also bekannt. Unklar ist das genaue Datum seines Wegzuges. Nach Auskunft des Stadtarchives München war er dort ab 1.5.1939 gemeldet. Dr. Ruez war mit der Familie Wettach in Reichenbach durch deren Tante befreundet. Sie war die Freundin der Tochter Eva des Ehepaares Ruez. Dadurch war jetzt doch noch zu erfahren, dass die Familie Ruez nach München ging. Dort war Dr. Ruez in einem Schwabinger Krankenhaus tätig, sogar später als leitender Arzt. Über diese Tätigkeit konnten keine Dokumente gefunden werden. Dr. Ruez starb in München am 3. März 1951, seine Ehefrau am 5. Dezember 1952. Die Tochter war nicht verheiratet. Es gibt also keine Nachkommen. Auffallend war, dass von Dr. Ruez ganz unterschiedlich geredet wurde nach seinem Weggang. Daran war schon ganz eindeutig die politische Gesinnung der Leute zu erkennen. Während die einen ihn über alles lobten und sogar von ihm schwärmten, meinten die anderen nur, er sei halt doch nur ein Halbjude gewesen. Gut war jedoch jetzt zu erfahren, dass er von der Verfolgung verschont blieb. Dies dürfte aufgrund der Nürnberger Gesetze geschehen sein, die die sogenannten Halbjuden von Verfolgung und Vernichtung ausschlossen. Dass er seinen Beruf weiter ausführen konnte, könnte jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass zur Zeit seines Weggangs ein Krieg geplant war und dazu auch Ärzte dringend benötigt wurden.

Hildegard Ried