Karlsbader Mitteilungsblatt

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Die badischen Flüchtlinge

10.09.2013 – 30.09.2013

Aus der Ortsgeschichte

Nach dem gescheiterten Hecker-Aufstand 1848 in Südbaden flüchtete eine sehr große Zahl von Revolutionsteilnehmern in die Schweiz und wurde dort auch aufgenommen und betreut. 1849 versuchten nun maßgebliche Bürger, die Idee Heckers auch in Nordbaden zu verwirklichen und erlebten dank der Preußischen Truppen, die von der großherzoglichen Regierung zu Hilfe gerufen wurden,  eine noch größere Niederlage. Jetzt waren es die jungen Männer aus Nordbaden, die in dem in Europa einzigen demokratisch regierten Land, in der Schweiz, ebenfalls Zuflucht suchten und dort auch Aufnahme und  humane Hilfe fanden.

Ob diese jungen Männer, die meistens im wehrpflichtigen Alter, auch tatsächlich Revolutionäre waren oder nur brave Soldaten in der Ausbildung, darf dahingestellt bleiben. Vielleicht waren sie nur ihrem Vorgesetzten treu gehorsam, wie es ihnen eingetrichtert wurde, und wurden dadurch in den Revolutionstrubel hineingezogen  Die Anhänger der Demokratiebewegung, die auch die Anführer der Revolution waren, waren vorwiegend Gebildete, unter ihnen auch zahlreiche Offiziere.

In der Schweiz gab es mehrere Lager, die alle mit badischen Flüchtlingen überfüllt waren. Sie wurden hier genauestens registriert. Nicht bekannt ist jedoch, wohin sie gingen.  Aus den Auswanderer-Dokumenten kann jedoch geschlossen werden, dass einige nach Amerika gingen.  Es ist allerdings kaum zu glauben, dass gerade in dieser armen Zeit junge Männer nach Amerika reisten, um ihre Verwandten zu besuchen, wie oft angegeben wurde. Das bezeugten später nicht nur die Verwandten, sondern das wurde auch von Bürgermeister und Gemeinderat bestätigt. Der ganze Ort scheint hier prächtig zusammengehalten zu haben.

Oft wird behauptet, die sogenannten Revolutionäre seien des Landes verwiesen worden. In den bis jetzt bekannten Dokumenten aus Langensteinbach findet sich jedoch kein Hinweis dazu.

Die  badischen Flüchtlinge in die Schweiz wurden dort sorgfältig registriert und sind in einem großen umfangreichen Band mit unzähligen Namen zusammengefasst. Diese ausgearbeitete Namensliste findet sich im Schweizer Staatsarchiv in Bern, wird derzeit digitalisiert und kann in Bälde abgerufen werden.

In dieser Liste fand sich auch ein Philipp Rühle aus Langensteinbach, der bisher noch nicht als an der Revolution beteiligt bekannt war. In einer anderen Akte ist notiert, dass er über Kreuzlingen in die Schweiz kam und weiterzog nach St. Gallen. Im Flüchtlingslager von St. Gallen findet sich dann sein Name wieder.

Philipp Rühle konnte offenbar wieder zurück in seine Heimat, denn er gründete hier eine Familie, wie aus seinem Antrag zur Erlaubnis zur Auswanderung hervorgeht. Aus diesem Antrag, datiert vom 6. März 1864,  ist auch sein Beruf und seine Mittellosigkeit ersichtlich. Hier der Text des Antrages:

 “Philipp Rühle, 36 Jahre alt, verheirateter hiesiger Bürger und Schuhmacher, ist gesonnen mit seiner Familie, bestehend aus der Ehefrau Rosina geb. Bauchert,

30 Jahre alt, und ihren 2 Kindern Elisabeth, 6 Jahre alt und Philipp, 3 Jahre alt, nach Nordamerika auszuwandern, ihr Vermögen besteht

a  Häuser und Gebäude keine

b  in Grundstücken im Anschlag von 325 f (Gulden)

c  an Fahrnißen 50 f - Summe 375 f

    darauf haften Schulden eingetragen auf die Grundstücke 100 f - Rest 275 f.       

Dieselben bitten um Erlaubnis zur Auswanderung und zur Veräußerung ihres Vermögens, welches hier mit ihrer Unterschrift beurkundet wird.

Philipp Rühle, Rosina Rühle        

Eine Tagfahrt wurde anberaumt, damit evtl. Gläubiger ihren Anspruch anmelden können, und es meldete sich Friedrich Mößner aus Spielberg. Er hätte noch 14 f von Philipp Rühle zugut. Philipp erkennt diese Schuld an. Es kann darauf vereinbart werden, dass er nur noch 13 f zu bezahlen habe.

Ob das “Vermögen” von 262 Gulden für die Überfahrt einer vierköpfigen Familie und dem Neustart in Amerika ausreichte, dürfte fraglich sein.

Als Schuhmacher konnte Philipp in der neuen Heimat sicher den Lebensunterhalt seiner Familie bestreiten. Hier hätte er bestimmt dazu nicht die Möglichkeit gehabt, denn es gab zu viele Schuhmacher im Ort und zu wenig zahlungskräftige Einwohner.

1849 flüchtete Philipp Rühle vor der  Obrigkeit und 1864 war es die Armut, die ihn wieder zum Flüchtling machte.

 

Hildegard Ried.