Karlsbader Mitteilungsblatt

ARCHIV: Redaktionelle Berichte

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Vor 70 Jahren

17.02.2015 – 08.03.2015

Aus der Ortsgeschichte

Es war mal wieder Fliegeralarm und zwar schon früh am Abend. Die Luftschutzkeller wurden aufgesucht. Irgendjemand blieb meistens draußen und beobachtete das Geschehen. Auf einmal rief jemand: „Sie stellen Christbäumchen; es könnte über Pforzheim sein!“ „Ja, heute Abend ist Pforzheim dran“,  versicherte eine andere Stimme. Man wusste nun, dass wir selbst nicht das Ziel des Angriffes sind an diesem Abend des 23. Februar 1945. Immer mehr verließen den Keller, um zu sehen, was draußen passierte. Die ersten Flugzeuge seien höher geflogen, meinte ein Soldat, der gerade  draußen auf der Straße stand.  Es waren offenbar diejenigen, die die Leuchtkugeln über Pforzheim wie kleine Christbäume stellten und damit das Bombardierungsziel für die nachfolgenden Bomber markierten.  Diese Bomber flogen dann auch über Langensteinbach an. Sie flogen so unwahrscheinlich tief und waren dadurch so groß zusehen,   dass die Zuschauer auf der Straßse befürchteten, sie würden den Kirchturm mitnehmen. Von der Ferne gesehen, war es ein interessantes Schauspiel.  Während immer noch das tiefe, dröhnende Brummen der englischen Lancester-Maschinen zu hören war, begann sich der Himmel in Richtung Pforzheim rot zu färben.  Es waren auch mal Detonationen zu hören. Die jungen Burschen, die noch zu jung für den Militärdienst waren,  fühlten sich besonders stark und rannten auf den Dreieichenbuckel, um von oberhalb Auerbach die Feuerglut sehen zu können. Der Nachthimmel wurde tiefdunkelrot und dieses Rot wurde größer und größer und breitete sich immer mehr aus. Die Bomber kamen wieder zurück. Ihr Brummen war nicht mehr so tief und schwerfällig wie beim Hinflug. Sie hatten ihre Bombenlast über einer dichtbewohnen Stadt abgeladen. Als die jungen Burschen wieder vom Dreieichenbuckel zurückkamen meinten sie: „Da kommt niemand raus“. Eine aus Langensteinbach stammende Frau schaffte es, mit ihren beiden Töchtern dem Inferno zu entfliehen. Sie hatte Decken mit im Keller, die sie nass machte und den Mädchen überhängen. So erreichte sie gegen Morgen Langensteinbach. Noch im Alter konnte die Tochter nicht nach dem Erlebnis befragt werden. Es war ihr nicht möglich zu antworten und weinte sofort. Dieser Schrecken blieb ihr erhalten durch ihr ganzes Leben hindurch. Wer im Juli/August 1945 mit einem Bus durch Pforzheim fahren konnte, fuhr nur durch Trümmerberge, die mit kleinen Kreuzchen übersät  waren. Damals war es unvorstellbar, dass hier überhaupt nochmals eine Stadt entstehen könnte. Die Trümmer wurden bald weggeräumt. Bei Pforzheim entstand ein neuer Berg, der deutlich auch von oberhalb des Pfinztales bei Ittersbach zu sehen war. „Der Monte Scherbelino“ wurde dieser Berg aus Trümmer bald im Volksmund genannt, der auch ein Grab unzähliger Opfer des Angriffes ist.  Der Berg aus Trümmern setzte sich, wurde niedriger und niedriger und ist heute nur noch eine Erhöhung. Mit dem Absinken des Trümmerberges schwindet auch mehr und mehr die Erinnerung an dieses schreckliche Geschehen. Denjenigen, die es erlebt haben, bleibt jedoch dieser Abend des 23. Februar 1945 in steter Erinnerung.

Hildegard Ried