Karlsbader Mitteilungsblatt

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Ein französischer Kriegsgefangener

03.03.2015 – 10.03.2015

Aus der Ortsgeschichte

Das Foto zeigt einen jungen Mann beim Korbflechten. Aufgenommen wurde dieses Foto während des Krieges im Hof des Hauses Knodel in der heutigen Hauptstraße. Während er hier war, hatte diese Straße jedoch einen anderen Namen, der zum Glück vor 7o Jahren verschwand. Der Korbflechter hieß Roger und war ein französischer Kriegsgefangener. Als Adolf Knodel, der Langensteinbacher Korbmacher, in den Krieg ziehen musste, bekam seine Familie diesen jungen Kriegsgefangenen zugeteilt. Er war dann für das ganze Dorf zuständig, denn immer wieder mussten Körbe oder Ähnliches vor allem ausgebessert werden. Vielleicht konnte er auch neue Körbe fertigen. Sie wurden in Haus und Stall benötigt. Es gab kaum jemand im Ort, der nicht irgend ein Stück Land bewirtschaftete oder vielleicht auch nur einen Garten bepflanzte. Selbsterzeugte Lebensmittel halfen über die mageren Kriegsjahre am besten weg. Doch für die Ernte dieser Feld- und Gartenfrüchte, vor allem für die Kartoffelernte, waren diese handgeflochteten Körbe unentbehrlich. Schließlich gab es keine anderen Behälter zu kaufen. Roger bekam auch Aufträge von außerhalb. So musste er für das katholische Pfarramt in Stupferich eine große Flasche einbinden. Per Fahrrad lieferte er die  Korbflasche dann persönlich in Stupferich ab und nahm auch noch die achtjährige  Knodel-Tochter auf dem Rücksitz mit auf diese Fahrt. Das Rohmaterial konnte sich Roger im Weidenhof holen, wie das Korbmacher Knodel vor dem Krieg tat und nach dem Krieg so weiterführte. Dort im Weidenhof wuchsen zahlreiche Weidenbüsche, die jedes Jahr geschnitten wurden, wenn die Weidengerten das richtige Maß aufzeigten und sich für das Korbflechten eigneten.  Zurück blieben dann nur kurze Stämme mit einem total geschorenen runden Kopf, die dem Weidenhof ein sonderbares gespenstisches Aussehen gaben. Manchmal legte sich eine kleine Wolke über die Wiesen des Weidenhofes, über die nur diese Köpfe ragten und sie in eine kleine Wunderwelt verzauberten. Roger, der Franzose, war ein hilfsbereiter Mensch und war auch in seiner ihm zugeteilten Familie äußerst beliebt. Er bereitete auch gerne französische Köstlichkeiten zu. Kurz vor Kriegsende im April vor 7o Jahren musste er gehen, oder ging freiwillig; es ist nicht mehr bekannt weshalb und wohin, oder ob er evtl. einen Befehl dazu erhielt. Ob er wusste, dass die anrückende Truppen seine Landsleute waren oder ob er nochmals zurückkam,  ist auch nicht mehr so genau bekannt. Auf jeden Fall hinterließ er einen Brief in Französisch. Diesen Brief zeigte Frau Knodel den französischen Truppen als sie am 8. April in Langensteinbach einrückten, und ihr Haus blieb dadurch vollkommen verschont von jedweden Unannehmlichkeiten.

Hildegard Ried

Der französische Kriegsgefangene Roger. Foto: Familie Lichtenfels

Das Haus „Knodelschuhmachers“. Im Erdgeschoss ist das Geschäft des Korbmachers Knodel gut zu erkennen. Als Roger hier arbeitete, war der Bach jedoch schon zugedeckt. Foto: Ried