Karlsbader Mitteilungsblatt

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Vor 70 Jahren am 8. April

07.04.2015 – 30.04.2015

Aus der Ortsgeschichte

Die französischen Sanitäter brachten nur noch ganz selten Verwundete. Der Arzt benötigte Verbandmaterial und räumte dazu den Wäscheschrank aus. Es wurde alles zu Streifen gerissen.  Dann wurde auch noch ein gefangener Offizier gebracht. Es war recht sonderbar anzusehen, wie sich die beiden französischen Soldaten mit dem deutschen Offizier zusammen durch die normal große Tür zwängten. „Ich bin Arzt“, sagte der Gefangene und dem französischen Arzt war deutlich Erleichterung anzusehen. Er bekam Hilfe. Die beiden Ärzte arbeiteten zusammen, sprachen jedoch kein einziges Wort miteinander. Der französische Arzt war zwar ein etwas ruppiger Mensch, jedoch sehr korrekt. Er behandelte alle Verwundeten gleich und legte sie sogar nebeneinander in die Betten. Für ihn gab es keine Franzosen und Deutsche, für ihn gab es nur Verwundete, die seine Hilfe benötigten.

Am späten Nachmittag schaffte ich es mal wieder in den Hof und sogar auf die Straße. Das Sägewerk brannte immer noch und alles war voller Rauch. Brennende Schindeln flogen vom Sägewerk her nur noch ganz selten über das Unterdorf. Die abgebrannten Häuser in der Weinbrennerstraße interessierten mich und ich ging die paar Schritte bis zur Sicht in diese Straße. Da gab es jetzt noch einen rauchenden Trümmerhaufen. Das Haus neben der Kirche, das um die Mittagszeit noch stand – also nach den Kampfhandlungen -  war nicht mehr da, war auch nur noch ein wenig rauchender Trümmerhaufen. Offenbar fiel eine der brennenden Schindeln vom Sägewerk durch das durchlöcherte Dach. Damit waren also nahezu die Hälfte der Häuser der damals kurzen Weinbrennerstraße plötzlich verschwunden.

Erst viel später war zu erfahren, dass auch die Kirche oben unter dem Dach anfing zu brennen und zwar ganz in der  Nähe der Orgel. Ein französischer Offizier nahm seine Soldaten mit in die Kirche, er selbst ging direkt zur Brandstelle. Außerhalb waren einige Dorfbewohner und auch polnischen und russischen Fremdarbeiter, die eine Eimerkette bildeten und so das Löschwasser in die Kirche transportierten. Die französischen Soldaten reichten dort die Wassereimer weiter bis zur Brandstelle. Es gelang, das aufglimmende Feuer einzudämmen. Der französische Offizier trat zum Schluss die noch glimmenden Balken nach unten. Es  kann eine internationale Aktion genannt werden. Alles war erst Jahre später zu erfahren.

„Kronenwetts Mutter isch erschosse worre“, kam auf einmal die erschreckende Nachricht. Frau Kronenwett aus dem ersten Haus in der Pforzheimer Straße wurde jedoch nicht direkt erschossen, sondern  ein Querschläger traf sie. Sie verblutete in wenigen Minuten und war damit das vierte zivile Todesopfer im Ort dieses Kampftages. Der fünfte Schwerstverletzte überlebte diesen Tag nur kurz.

Am Abend wurden die Verwundeten dann von der französischen Sanitätstruppe in das Diakonissenkrankenhaus in Rüppurr und auf den Thomashof transportiert. Erwähnt werden sollte noch, dass die beim Feldlazarett anwesenden Franzosen durchweg einen vertrauenswürdigen Eindruck machten. Besonders die  französische Rot-Kreuz-Helferin, die jedoch nur für Verpflegung sorgte, war äußerst um unser Wohl bemüht. Nur ein einziger französischer Soldat kann als ein Scheusal bezeichnet werden. Seine Kameraden verachteten ihn ebenfalls – wie deutlich zu erkennen war..

Am Abend durfte niemand mehr das Haus verlassen. Draußen kontrollierten schwer bewaffnet die Franzosen. Wir mussten zuvor aus unserem  Haus gehen und übernachteten im Keller der Nachbarn auf den eingelagerten Kartoffeln. Angenehm war das nicht gerade, aber man konnte ohne Angst vor Bomben und Granaten jetzt einschlafen.

Hildegard Ried