Karlsbader Mitteilungsblatt

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Vor 70 Jahren – die toten Soldaten

14.04.2015 – 17.05.2015

Aus der Ortsgeschichte

Das Dorf  hatte keine Fliegerangriffe mehr, es kamen keine Granaten  mehr geflogen. Es war nahezu Frieden, jedoch mit fremden Menschen, die nun das Sagen hatten.  Am Tage nach den Kampfhandlungen kamen noch andere Fremde hinzu, sehr andere waren das. Sie trugen die Kleidung aus ihrer Heimat in Nordafrika, waren sehr freundliche und liebevoll Kindern gegenüber aber alles andere  als gutmütig den Frauen gegenüber. Einer von ihnen zeigte sich in offensichtlich betrunkenem Zustand aufsässig bei jungen Frauen, die einen französischen Offizier zum Schutz holten. Der fühlt e sich auch belästigt und erschoss den fremden, unbewaffneten Soldaten auf der Straße. Bei den Kameraden des Exoten löste das eine Empörung aus und auch die Einheimischen, die diese Erschießung mit ansehen mussten, waren entsetzt. Es wäre nicht nötig gewesen, meinten sie. Er hätte sich halt wie ein Betrunkener benommen. Der tote Nordafrikaner wurde auf den Friedhof gebracht und hier begraben. Der Vorfall zeigte, in welchem gespannten Verhältnis die Franzosen zu ihren Kolonialtruppen standen. Auch unter den Franzosen gab es Unholde. So musste in der Hauptstraße Vater Knab sterben, weil ein angetrunkener Franzose seinen Revolver ohne jeden Grund einsetzte. Draußen auf dem Feld, das nun ein Schlachtfeld war, lagen noch zahlreiche deutsche Soldaten in der in jenem Jahr sehr warmen Frühlingssonne.  Sicher gab es auch französische tote Soldaten, doch sie wurden von ihren Kameraden geborgen und wahrscheinlich gleich nach Frankreich überführt und dort beigesetzt. Die deutschen toten Soldaten oder auch Volksturmleute mussten von den älteren Männern im Dorf eingesammelt werden. Auch eine Siebzehnjährige, die in Abwesenheit der Brüder und Tod des Vaters mit einem Pferd die Landwirtschaft der Familie betrieb, musste mit ihrem Pferdefuhrwerk mit den Männern raus, um die Toten einzusammeln. Noch nach 60 Jahren dieses traurigen Ereignisses – so erzählte sie – begleitete sie immer noch der grausige Totengeruch. Sie fanden im Gebiet Rückweg/ Taubenbaum sehr viele ihrer Altersgenossen. Diese Jungen hatten dort eine Panzersperre zu bilden. Sie hatten sich ein Loch zu graben und in diesem Loch auf die Panzer zu warten, um sie, wenn sie nah genug waren, mit ihrer Panzerfaust abzuknallen. Das allein war ein übles Kriegsverbrechen. Die Panzerbesatzung war nicht so dumm und wartete bis sie Bekanntschaft mit einer Panzerfaust machen musste. Sie beschossen die Schützenlöcher und trafen dabei die Jungen tödlich. Später ging noch das Gerücht, die Panzer wären auf die Schützenlöcher gefahren und hätten sie zugedreht. Doch Hilde Maier, das Mädchen mit dem Pferdefuhrwerk,  verneinte das. Nicht ein einziges der Schützenlöcher sei zugedreht gewesen. Am 8. April sind mindestens 31 Soldaten gefallen. Sie wurden in einem Massengrab auf dem Friedhof  beigesetzt.  Pfarrer Beck ließ es sich nicht nehmen, auch alle Kriegstoten mit dem christlichen Segen zu bestatten. Ungefähr nach einer Woche wurde irgendwo im Langensteinbacher Wald, wo es eigentlich keine Kampfhandlungen gab, noch ein toter Soldat gefunden. Wie sich später herausstellte, war es auch ein siebzehnjähriger Junge. Was ihm zum Verhängnis wurde, konnte nicht geklärt werden. Ob er sich verwundet in den Wald flüchtete und dort seinen Verletzungen erlag, oder ob ihn dort eine Kugel traf, weiß niemand. Hätte er sich verwundet den Franzosen ergeben, so hätten sie ihn sicher auch zur Versorgung in das Feldlazarett gebracht.  Sie nahmen nämlich die deutschen Verwundeten genauso mit wie ihr eigenen. Es waren sogar mehr deutsche Verwundete als französische. 18 Siebzehnjährige fanden auf unserem Friedhof ihre letzte Ruhestätte. Das ist kaum zu verstehen. Sie mussten wahrscheinlich alle innerhalb von ungefähr drei Stunden sterben. Und das alles zu einer Zeit, in der Krieg mit Sicherheit für Deutschland schon längst, schon Jahre zuvor verloren war. Wie viele Tote, wieviel Leid wäre auch uns erspart geblieben, wenn nur ein Funke Vernunft, wenn eben mit rechtzeitigem Waffenstillstand dieses Morden beendet worden wäre.  Der Vater eines der Siebzehnjährigen kam öfters hierher an das Grab seines Jungen. Er stand sehr lange weinend vor dem Massengrab, war ein einziges Bild des Elends.

Hildegard Ried