Karlsbader Mitteilungsblatt

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Vor 70 Jahren - endlich Frieden

05.05.2015 – 11.05.2015

Aus der Ortsgeschichte

Die Front ist weitergezogen. Hier blieben das Rathaus und der gesamte Teil des Dorfes beim Rathaus ohne Schäden.  Bei der Schmiede hatte sich ein Trupp sehr junger Volkssturmleute verschanzt, um Widerstand zu leisten.  Einige couragierte Frauen der Badischen Beamtenbank aus Karlsruhe – diese war nach Langensteinbach evakuiert – sprachen energisch auf die Jungen ein und forderten sie auf weiterzuziehen, damit es zu keinen Kampfhandlungen im Ort kommen wird.  Nach langem  Zureden gingen sie weiter.  Der zuvor provisorisch als Bürgermeister eingesetzte Gendarm Köhler und Vater Augenstein hängten eine weiße Fahne an einem Fenster des Rathauses raus. Auch das bewirkte, dass es zu keinen Schießereien in diesem Bereich kam. Ratschreiber  Uckele blieb während den Kampfhandlungen allein auf dem Rathaus und  konnte so das Gemeindeamt geordnet übergeben. Es kam zu keinerlei Verwüstungen, wie das von anderen Gemeinden bekannt wurde. Sogar die Gemeindekasse blieb unversehrt. Ratschreiber Uckele brachte einige Tage danach den Inhalt der Kasse zur Sparkasse, die damals noch in der Pforzheimer Straße war. Unterwegs wollte ihm ein französischer Soldat die Kasse abnehmen. Ratschreiber  Uckele wehrte sich und konnte so tatsächlich alles in der Sparkasse abliefern.

Dass das Rathaus so unbeschädigt die Kriegsschrecken überstand, dürfte allerdings auch dem französischen Ortskommandanten zu verdanken sein, der mit dem 31. Panzer hier ankam. Die erste Dorfbewohnerin, die zu ihm kam, um sich zu beschweren, dass sie wegen der Nordafrikaner in dem Bezirk Weinbrennerstraße und Ettlinger Straße ihre Kühe nicht melken konnte, dürfte meine Mutter gewesen sein. Sie schimpfte ganz einfach darauf los, beschwerte sich vor allem, dass diese Truppe den Frauen so nachstellte. Und der Ortskommandant hörte sie geduldig an und sagte ihr, sie solle zuerst ihre Kinder in Sicherheit bringen und dann wieder kommen. Er hatte wider Erwarten alles verstanden und geduldig ertragen und antwortete in vertrautem elsässischen Dialekt. Als die Mutter wieder auf das Rathaus kam, gab er ihr zwei französische Soldaten mit als Bewachung. Sie blieben vor dem Stall mit ihrem Maschinenpistolen im Anschlag stehen und die Mutter konnte die Kühe von den Schmerzen durch die übervollen Euter erlösen. Das ging dann noch zwei Tage so, bis die sonderbare,  jedoch unbewaffnete  Truppe aus Nordafrika den Ort verließ. Als sie weg war, kam noch am gleichen Tag eine neue Truppe an, die sich jedoch ausgesprochen fein verhielt. Es waren Fremdenlegionäre,  die sogar einen tiefschwarzen Afrikaner in ihren Reihen hatten. Da gab es mal wieder etwas zu sehen, und wo dieser Exote mit der weißen Mütze auftauchte, freuten sich alle, weil er so gerne lachte und seine weißen Zähne dabei zeigte. Die Fremdenlegionäre blieben nur einen oder zwei Tage und zogen dann weiter. Ein Trupp der französischen Armee blieb hier als Besatzung. Diese Truppe blieb unauffällig, es war von keinen unangenehmen Besonderheiten mehr zu hören.

Zu den elsäßischen Soldaten bei der französischen Armee muss noch gesagt werden, dass sie wirklich ein Glücksfall für uns waren, wie das einige Leute immer wieder erzählten.  Dort, wo ein Elsäßer auftauchte, da war ganz einfach alles in Ordnung. Möglicherweise war auch der französische Offizier, der die Kirche rettete und damit auch die Nachbarhäuser der Kirche, ein Elsäßer. Sicher ist das jedoch nicht. Ein elsäßischer Kriegsveteran sagte viel später: „Wir wollten ganz einfach endlich den Krieg aus dem Land haben, und das ging nur auf diesem Weg!“

8. Mai 1945, der große Glückstag! Endlich Frieden! Diese  Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch das Dorf, und die Franzosen trafen Vorbereitungen zur Siegesfeier. Der „Anker“ musste Tische und Bänke liefern und auch das Fleisch für das Festessen. Am Abend des 9. Mai fand dann im Schulhof das Festbankett statt. Einige junge Frauen wurden zum Kochen und Servieren beordert. Diese Frauen betonten danach stets, dass sie nicht belästigt wurden. Kinder aus der Nachbarschaft der Schule erzählten, dass ihnen auch von den Köstlichkeiten angeboten wurde, die sie allerdings dankend ablehnten. Es war ein bei uns nicht bekannter Zwiebelsalat. Wir Kinder standen auf der Straße und hatten mal wieder etwas zu sehen. Diesmal machte es auch Spaß, wenn auch die mit reichlichen Gesten unterlegten  Reden nicht verstanden wurden.  Zu verstehen war nur das immer wieder gerufene „Viva la France“. Wir freuten uns mit den Siegern, jedoch nicht über den Sieg, sondern über den Frieden. Zur Sperrstunde musste die Straße geräumt werden. Jetzt waren die Sieger unter sich. Sie hatten nur mit ihren Streifenfahrten zu kontrollieren, ob die Sperrstunde auch wirklich eingehalten wurde und die Straßen frei von Menschen waren. Ob dabei auch der französische Rotwein seine Wirkung tat, ist schon möglich. Eine Patrouille feuerte plötzlich einige Salven ab. Passiert ist nichts dabei, doch was hätte passieren können, ist nicht auszudenken.  Kurz vor Mitternacht wurde dann im Schulhof das Feuerwerk gezündet. Von den Fenstern aus konnte dieses bis jetzt nicht bekannte Wunder bestaunt werden. Nur das Zischen und Knallen erinnerte an gerade vergangene Zeiten. Doch das harmlose Feuer am Himmel sagte auch uns deutlich, es ist Frieden, endlich Frieden. Damals fragte man sich, wie es wohl im nächsten Krieg werden wird. Niemand hätte gedacht, dass wir nach dieser bösen Zeit mindestens 7o Jahre in Frieden leben dürfen.

Hildegard Ried