Karlsbader Mitteilungsblatt

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Amerikaner - die neue Besatzung

07.07.2015 – 31.07.2015

Kriegsende vor 70 Jahren - Aus der Ortsgeschichte

Bis zum 9. Juli blieben die französischen  Besatzer in Langensteinbach. Sie blieben allgemein unauffällig und fuhren nur Streife zur Kontrolle.  Wichtig war offenbar das Einhalten der Ausgangssperre. Vielleicht weiß noch jemand, ab wann die Straße nicht mehr betreten werden durfte. In der Nacht vom 9. auf 10. Juli wurde es laut im Unterdorf. Fahrzeuge starteten und fuhren die Weinbrennerstraße hinunter. Sie fuhren sicher nicht auf die Autobahn, denn die Brücken waren größtenteils gesprengt. Ein Vorankommen wäre also dort nicht möglich gewesen. Außerdem gab es noch keine A5. Wie sie in Richtung Norden nach Süden in die französische Zone kamen, gab schon Rätsel auf. Am nächsten Tag kam dann wieder eine neue Sorte Soldaten in den Ort. Jetzt waren es Amerikaner. Wie später zu erfahren war, bestand Amerika darauf, dass ein Landstrich von fünf oder acht Kilometer südlich entlang der Autobahn ihrer Besatzungszone einverleibt wurde. Da die Franzosen total von Amerika ausgerüstet wurden – sie eroberten ja auch in amerikanischen Sherman-Panzern unser Gebiet – blieb ihnen nichts anderes übrig, als abzuziehen. Jetzt gab es wieder etwas zum Schauen und Staunen. Die neuen Soldaten waren durchweg mindestens einen Kopf größer als die Franzosen. Und was besondere Beachtung fand, sie lachten immer, als wären sie nicht erst vor kurzer Zeit im mörderischen Kampfeinsatz gewesen.  Eine äußerst lustige Truppe, die sich allerding recht sonderbar benahm. Alle kauten ständig, was uns doch Rätsel aufgab. Und dass sie jedem Mädchen oder  jeder jungen Frau „Froilain“ nachriefen, brachte uns Dorfbewohner bald zu der Erkenntnis, dass diese Neuen nicht so ganz richtig im Kopf seien.

Bekanntlich hatten sie Fraternisierungsverbot, das ihnen jedoch besonders bei den erwachsenen Mädchen vollkommen schnuppe war. Wollten sie einem Kind etwas ihrer Köstlichkeiten zukommen lassen, achteten sie allerdings darauf, dass sie von ihren Kameraden dabei nicht beobachtet werden konnten. Das geschah heimlich, doch nur anfangs. Später kümmerte sich kaum noch einer der GI’s um das Fraternisierungsverbot. Die Amerikaner – die Abkürzung „Ami“ war damals noch nicht bekannt  - kutschierten in ihren Jeeps durch das Dorf und gaben auch mächtig mit ihren Fahrkünsten an. Das allein erweckte in manchen jungen Leuten den Wunsch, irgendwann ihrer zerbombten, armen Heimat den Rücken zu kehren und sich in der reichen Neuen Welt eine glücklichere Zukunft aufzubauen. Dazu kam noch die stets korrekte Kleidung der Amerikaner, die sie ganz einfach reich erscheinen ließ. Die Uniformen sahen immer aus wie neu und die Langensteinbacher  Hausfrauen pflegten gerne diese Uniformenausfrauen  und bügelten mit viel Geschick drei Falten in den Rücken der Hemden. Das sah vielleicht vornehm aus, denn im ochsommer warein akett Hochsommer mussten diese schicken Hemden nicht von einer Uniformjacke verdeckt werden. 

Die Amerikaner nahmen Quartier in der Schule und beschlagnahmten auch die schönsten Häuser im Ort für ihre Unterkunft und vor allem die Gasthäuser. Im „Grünen Baum“  richteten sie eine Sanitätsstation ein. Dort war dazu ein Arzt, der auch von der Dorfbevölkerung konsultiert werden konnte. Sie übernahmen immer wieder Krankentransporte ins Krankenhaus. Es gab auch einen Pfarrer unter ihnen, der samstags in der Kirche einen Gottesdienst abhielt für seine Kameraden. In der „Festhalle“ wurden die Mahlzeiten zubereitet, und die GI’s konnten dort in Essenkännchen ihre Portion  abholen und zu ihrem jeweiligen Quartier tragen. Unterwegs gaben sie auch ab und zu ihren Nachtisch in Form von Orangen und Bananen an die Kinder ab, von denen viele jetzt erst diese köstlichen, exotischen Früchte kennenlernten. Trotz allem wurde in ihnen immer noch oft der Feind gesehen. Doch sie galten auch als eine Art Bestandssicherung für den so jungen Frieden.

Der große Saal in der „Festhalle“ wurde zum Kino. Auch die Dorfjugend wollte sehen und erleben, was sich da auf der Leinwand abspielte, wenn sie auch nichts von dem Gesprochenen verstand. Doch die Westernfilme hatten es in sich und die deutsche Jugend jubelte genauso wie die fremden Soldaten, die dabei glücklich ihre Freundinnen im Arm hielten und mit ihrem Leben in der Alten Welt sichtlich sehr zufrieden waren.  Ein ganz großer Wunsch der Amerikaner erfüllt sich jedoch nicht. Sie sehnten sich in den heißen Sommermonaten nach einem Bad, doch das Schwimmbecken im hiesigen Bad blieb leer. Das gerade mal sieben Jahre alte Schwimmbecken hielt das Wasser nicht mehr. Der Ortskommandant befahl zwar, das Becken unbedingt zu füllen, doch es gab kein Material zum Reparieren und es gab auch keine Leute für diese Arbeiten. Die meisten jungen Männer, die den Krieg überhaupt  überlebt hatten,  waren noch in Gefangenschaft. Da half auch keine Befehlsgewalt, das Schwimmbecken war und blieb leer.  Nur in der Sprunggrube befand sich etwas stinkender Schlamm.  Die Amerikaner hielten sich trotzdem gerne im oder beim Bad auf. Einer von ihnen, ein besonders langer Kerl erschien eines Tages mit einer Halsmanschette, die ihn noch größer und überheblicher als zuvor wirken ließ. Es ging das Gerücht, er sei mit einem Kopfsprung in die schlammgefüllte Sprunggrube unter dem Drei-Meter-Brett gesprungen. Ob das stimmte, ist fraglich, doch die Dorfbewohner hatten nun mal wieder etwas zu lachen.

Einige Male biwakierten die Amerikaner auf den Badwiesen auf der Westseite der Spielberger Straße.  Auch am Sonntag, den 29. Juli 1945. An diesem Tag machte sich auch eine Gruppe Jungen im Schüleralter wieder mal auf den Weg zum Ittersbacher Buckel. Dort saßen immer noch eine Unzahl von Granaten, aufgeschichtet wie Sterholz. Der Anführer hatte an diesem Tag eine neue Idee, was man mit den Granaten anfangen könnte. Diese  Idee kostete dem 13-Jährigen dann das Leben. Er starb gleich nach der Explosion. Zwei der Jungen liefen nach der auch im Ort zu hörenden Explosion blutüberströmt den Berg hinunter in Richtung Dorf. Auf  halber öhe trafen sie ein Ehepaar, dasHöhe trafen sie ein Paar, das mit dem Fahrrad unterwegs war. Diese Leute fuhren schnell zurück zum Biwak der Amerikaner und alarmierten sie. Mit einem bewundernswerten Eifer eilten die Amerikaner zur Unglücksstelle, sicherten mit gekonnter Erster Hilfe die verletzten Jungen und brachten sie in ihren Fahrzeugen zur Sanitätsstelle im „Grünen Baum“ .  Dort luden sie immer noch mit dem gleichen Eifer die Verletzten um in ihre Sanitätswagen und transportierten sie ins Diakonissen-Krankenhaus in Rüppurr. Ein 12-jähriger Junge war so schwer verletzt, dass er zwei Tage später im Krankenhaus starb.  Fünf weitere 12-Jährige konnten gerettet werden - sicher auch durch die Anwesenheit und Dank der Hilfe der Amerikaner. Sie hatten die Fahrzeuge für den schnellen Transport und sie hatten vor allem den besten Willen zu helfen. Ohne die Hilfe der Amerikaner wären vielleicht noch mehr von den Jungen verblutet. Die amerikanischen Soldaten besuchten immer wieder die Jungen im Krankenhaus und brachten auch die heißersehnten Leckereien mit. Die kleine amerikanische Truppe wurde nun allgemein besser geachtet, vor allem wegen ihrer Hilfe nach dem schrecklichen Unglück. Um den 10. September verließen die amerikanischen Besatzer den Ort. Die Hauseigentümer konnten wieder zurück in ihr Zuhause. Allgemein wurde der Abgang  dieser Truppe fast bedauert,  brachten sie doch mit ihrem Hiersein eine gewissen Sicherheit für die Dorfbevölkerung. Sie waren die letzten Soldaten, die wegen des Krieges in den Ort kamen, und sie waren allgemein so angenehm, als wären sie keine feindlichen Soldaten gewesen.

Hildegard Ried

Nur von einem der damaligen Besatzungssoldaten konnte hier noch ein Foto gefunden werden. Es zeigt ihn in seiner Heimat in Missouri. Foto: Hildegard Ried