Karlsbader Mitteilungsblatt

ARCHIV: Moment mal

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Lob der Langsamkeit

02.06.2021 – 09.06.2021

Es ist jetzt genau 30 Jahre her. Am 2.Juni 1991 wurden die ICE-Strecken in Deutschland offiziell in Betrieb genommen. Seitdem verbinden ICE-Züge die großen Städte in unserem Land miteinander und lassen uns schneller reisen. In fünf Stunden erreiche ich von Karlsruhe aus Berlin. In sechs bin ich in Hamburg. Und nach München brauche ich nur drei Stunden.

Schnelligkeit ist Trumpf! Nicht nur beim Reisen. Langsamkeit ist eine Schwäche.

Dabei ermöglicht die Langsamkeit ganz neue Erfahrungen. Hier und da fahre ich mit dem Fahrrad nach Karlsruhe in mein Büro. Das ist ein völlig anderes Erlebnis als mit dem Auto oder der S-Bahn. Ich nehme meine Welt bewusster war: Die Häuser, an denen ich vorbeifahre. Die Menschen auf den Wegen. Die blühenden Bäume. Den Duft der schweren Erde auf den Äckern. Das Singen der Vögel. Geschwindigkeit spart Zeit und verhindert zugleich Erfahrungen.

Auch in meinem Glauben kämpfe ich gegen den Drang nach Schnelligkeit. Wenn ich bete, erhoffe ich mir eine schnelle Antwort. Wenn ich ein Problem habe, soll Gott es mir rasch die Lösung zeigen. Doch die Bibel erzählt davon, dass Gott manchmal auf sich warten lässt. Er handelt in anderen Zeitabläufen. Darum ist eine Grundkompetenz des Glaubens, auf Gott warten zu können. Die Bibel nennt dies „Harren“. Ein altes Wort, das es gut beschreibt. „Harren“ bedeutet: Aufmerksam, gespannt nach Gott Ausschau halten und geduldig warten, bis er handelt. Aber das „Harren“ muss ich in unserer schnellen Zeit immer neu lernen.

Axel Ebert, Kirchenrat, Leitung Missionarische Dienste