Karlsbader Mitteilungsblatt

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Moment Mal

25.10.2018 – 01.11.2018

Kopf ab zum Gebet?

 

Auf einer schon etwas älteren Karikatur sieht man einen Mann, der in der Kirche auf den Stufen vor dem Altar kniet. Das Besondere an dieser Zeichnung: Der Mann hat keinen Kopf – d.h. er hält seinen Kopf in den Händen - wie einen Hut, den man zum Gebet abgenommen hat. „Kopf ab zum Gebet!“ steht unter dieser Karikatur. Die Aussage ist ebenso klar wie drastisch: Wer heutzutage noch betet, der kann doch nicht ganz richtig im Kopf sein – der muss das vernünftige Denken ausgeschaltet haben. Das ist jedenfalls die Meinung des Zeichners – und mit dieser Meinung steht er sicher nicht allein.

 

Da erstaunt es schon, was ich einmal bei einem Interview im Radio gehört habe. Da saget einer sinngemäß in einer völlig säkularen Sendung: „Wenn es im Flugzeug irgendwelche Turbulenzen gibt, dann betet jeder: „Lass mich wieder heil runter kommen! – ganz egal ob er gläubig ist oder nicht.“ Es gibt Situationen, da beten selbst Menschen, die sonst nur ein müdes Lächeln für den Glauben übrig haben. Wenn wir uns hilflos fühlen in großer Gefahr oder manchmal vielleicht auch wenn wir eine ganz tiefe Glückserfahrung machen, dann haben viele das Bedürfnis, irgendetwas oder irgendeinen anzusprechen, der oder das größer ist als wir Menschen. Manchem mag das hinterher, wenn er wieder seine normale Gefühlslage erreicht hat, vielleicht peinlich sein. Aber das muss es gar nicht.

 

Wenn wir spüren, dass wir unser Leben nicht selbst in der Hand haben - wenn wir merken, dass wir auch unser Glück nicht uns selbst verdanken - dann sind wir der Wahrheit sehr nahe. Dann sind das Momente, in denen Gott uns ganz direkt anspricht und aufrüttelt. Was wir daraus machen, liegt in unserer Hand. Wir können nach solchen Erlebnissen wieder zu unserer eher „gott-losen“ Tagesordnung übergehen. Wir können aber auch – zuerst vielleicht zaghaft – das Gespräch mit Gott auch ohne Extremsituation ausprobieren. Dabei können wir dann Schritt für Schritt entdecken: Es ist wunderbar, einen liebevollen Gott und Vater zu haben, mit dem wir über alles reden können. Wer sich auf dieses Wagnis des Gesprächs mit Gott einlässt, der wird es erleben: Den Kopf brauchen wir beim Beten nicht abzunehmen – im Gegenteil: Wer betet, der hat seinen Kopf an der richtigen Stelle - und sein Herz auch.

 

Pfarrerin Ruth Boos-Breisacher (Spielberg)