Karlsbader Mitteilungsblatt

ARCHIV: Moment mal

Dieser Artikel befindet sich im Archiv!

Steh auf!

30.04.2024 – 07.05.2024

Irgendwo habe ich gelesen, dass der aufrechte Gang uns Menschen zu Menschen macht und uns z.B. von den uns am nächsten stehenden Säugetieren, den Menschenaffen, unterscheidet. Aufzustehen und aufrecht durchs Leben zu gehen, das hört sich für mich nach einem guten Menschsein an. Ich spüre, dass in dem aufrechten Gang so viel Kraft liegt – im Gegensatz zur gebückten und gebeugten Haltung.

Umso mehr kann ich verstehen, dass Jesus im Zusammenhang mit Heilungen oder gar Totenauferweckungen immer wieder gesagt hat: „Steh auf!“ Und so hieß es auch in einer urchristlichen Taufliturgie entsprechend: „Wach auf, du Schläfer, und steh auf vom Tod! Dann wird Christus dein Licht sein!“ (Eph 5,14). Christen sind zum aufrechten Gang berufen. Sie sollen aufstehen und aufrecht durchs Leben gehen.

Ich habe immer wieder zwei verschiedene Arten von Christen erlebt. Die einen wirkten eher eingeschüchtert, zurückhaltend und selbstunsicher. Ihr Blick ging nach unten. Sie trauten sich kaum, ihr Gegenüber anzuschauen. So gering dachten sie von sich. Die anderen trugen dagegen die Nase hoch – und rümpften sie. Über die schlimme Welt, über andere, die ihren Glauben nicht so lebten wie sie, ach, eigentlich über alle anderen. Sie hielten sich für etwas Besseres.

„Steh auf!“ Diese Aufforderung bedeutet aber etwas anderes. Jesus will weder gequälte Heilige noch frömmlerische Besserwisser. Steh auf! Das bedeutet schlicht: Jesus will, dass wir Menschen werden mit einem aufrechten Gang und einem gestärkten Rückgrat. Gläubige Menschen, vertrauensvolle und zuversichtliche Menschen. Eine chassidische Geschichte - von Martin Buber überliefert – sagt es so: Rabbi Bunam sprach zu seinen Schülern: „Jeder von euch muss zwei Taschen haben, um nach Bedarf in die eine oder andere greifen zu können. In der rechten liegt das Wort: Um meinetwillen ist die Welt erschaffen worden! und in der linken: Ich bin Erde und Asche.“ Beide Wahrheiten stimmen und wir dürfen keine vergessen. Wenn wir uns schwach fühlen, greifen wir in die rechte Tasche, wenn wir uns unwiderstehlich gut vorkommen, hilft ein Griff in die linke. Das ist eine wahrhaft befreiende Botschaft. In diesem Sinne: Steh auf!

Pfr. Johannes Werle