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Nachtfalter: Vergleich aktueller und historischer Daten bestätigen einen deutlichen Rückgang der Arten und des Bestands

26.10.2021 – 31.12.2021

Insektenrepositorium – handfestes Archiv für die Entwicklung der Arten

Selbst in den naturschutzfachlich hochwertigsten Gebieten des Landes gehen die Bestände der Nachtfalter bereits seit Jahrzehnten zurück. Ein aktueller Vergleich von Daten des Insektenmonitorings der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg mit historischen Daten des Staatlichen Museums für Naturkunde Karlsruhe belegt diesen dramatischen Trend.

LUBW-Präsidentin Eva Bell stellte die aktuellen Ergebnisse beim Pressetermin im Oktober den Vertretungen der Landesregierung vor. Dr. Andre Baumann, Staatssekretär des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und Dr. Claudia Rose, Leiterin der Abteilung Kunst im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sind hierfür von Stuttgart nach Karlsruhe gekommen.

Baumann: Harte Fakten zeigen massiven Rückgang der Insektenvielfalt

„Die aktuellen Daten des Insektenmonitorings bestätigen unsere schlimmsten Befürchtungen: Die derzeitige Landwirtschaft im Ackerland und auch im Grünland leistet nicht den wirksamen Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt, den wir brauchen und uns alle vorgestellt haben“, sagte Staatssekretär Baumann. „Aber die Monitoringergebnisse zeigen auch geeignete Lösungsansätze auf: Schutzgebiete und Landschaften mit einem höheren Anteil von Biotope stärken die Insektenvielfalt.“ Mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz würden die richtigen Maßnahmen in enger Kooperation mit den Landwirtinnen und Landwirten ergriffen, hob Baumann hervor. „Wir sind auf dem richtigen Weg.“ Er lobte das Insektenmonitoring, das es bisher in keinem anderen Bundesland gebe. Der Staatssekretär sicherte im Namen des Umweltministeriums die Weiterfinanzierung des Projektes zu. Es sei zwingend notwendig, auf langfristige Datenreihen zurückgreifen zu können. Dies zeige auch die aktuelle Auswertung der Beprobung der Nachtfalter.

Nur der Blick zurück kann die Gegenwart einordnen

Bei der Interpretation der in den vergangenen zwei Jahren erhobenen Daten zu den Nachtfaltern bot die vom Naturkundemuseum Karlsruhe betreute Landesdatenbank Schmetterlinge eine einmalige Chance. Für 25 Gebiete ermöglichten die aktuellen Monitoringdaten zusammen mit historischen Angaben einen Vergleich von zwei Zeitfenstern, die die vergangenen 50 Jahre abdecken. Rund 130.000 Datensätze flossen in die Analyse ein.

Nachtfalter: deutlicher Rückgang der Artenvielfalt und der Individuen

„113 der in Baden-Württemberg historisch belegten Nachfalter-Arten konnten auf den untersuchten Flächen nach dem Jahr 2000 nicht wiedergefunden werden. Gleichzeitig kamen 65 neue Arten auf den untersuchten Flächen hinzu. Beide Trends zusammengenommen geht die Artenvielfalt zurück. Besonders betroffen sind beispielsweise die Feuchtgebiete in der Rheinebene“, fasste Bell die zahlreichen Daten zusammen.

Das überraschendste Ergebnis ist jedoch ein Wechsel des Artenspektrums, dessen Ursachen derzeit von den beauftragten Fachleuten analysiert werden. Die Verbreitung von über der Hälfte der Nachtfalter-Arten ist rückläufig, während für ein Viertel der Arten eine Ausdehnung festzustellen ist. Bell erläuterte: „Zwar ist die Ausbreitung von einst seltenen Arten positiv, jedoch liegt darin auch ein Warnsignal. Der größte Teil von ihnen profitiert von den Temperaturanstiegen durch den Klimawandel. Die gefundenen Daten sind daher ein weiteres Anzeichen für den Klimawandel in Baden-Württemberg“.

Ein weiterer negativer Trend ergab sich bei Betrachtung der Individuenzahlen der Nachtfalter. Vorsichtigen Schätzungen zufolge erlitten diese Rückgänge von rund 25 %. Vögeln und Fledermäusen fehlt damit ein wichtiger Teil ihrer Nahrungsgrundlage.

Eine Strategie zur Probensammlung für ein Monitoring mit Weitblick

Diese eindeutigen Erkenntnisse für die Nachtfalter bereits vier Jahre nach dem Start des baden-württembergischen Insektenmonitorings war nur durch den Vergleich von historischen und im Monitoring mit vergleichbarer Methodik erfassten Proben möglich, darin waren sich alle Anwesenden einig. „Die Sammlungen der Staatlichen Museen für Naturkunde in Karlsruhe und Stuttgart sind herausragend und Grundlage für eine Forschungsinfrastruktur, die beiden Museen eine zentrale Rolle beim Thema Biodiversität zukommen lässt“, kommentierte Rose. Sie betonte: „Durch das Insektenmonitoring und eine langfristige fachgerechte Lagerung der Proben mit einer zentralen Anlaufstelle am Naturkundemuseum Karlsruhe ermöglicht das Land Baden-Württemberg auch künftig Forschung zur Artenvielfalt und zu den Folgen des Insektensterbens.“

Das Umweltministerium hat in Abstimmung mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst unter Einbeziehung der anwesenden Einrichtungen konzeptionelle Eckpunkte für ein sogenanntes Biodiversitätsrepositorium vorgeschlagen, um neben der Durchführung eines landesweiten Insektenmonitorings auch mit der Archivierung und Auswertung bundesweit mit gutem Beispiel voranzugehen.

Hintergrundinformation

Das im Jahr 2018 in Baden-Württemberg gestartete landesweite Insektenmonitoring ist ein zentrales Element des Sonderprogramms zur Stärkung der biologischen Vielfalt der Landesregierung in Baden-Württemberg. Es wird von der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg koordiniert und gemeinsam mit den Staatlichen Museen für Naturkunde in Karlsruhe und Stuttgart sowie externen und zum Teil ehrenamtlich engagierten Artenexpertinnen und –experten umgesetzt.

LUBW-Webseite: Insektenmonitoring
https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/natur-und-landschaft/insektenmonitoring