Karlsbader Mitteilungsblatt

ARCHIV: Heimatmuseum

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Heimatmuseum

13.02.2022 – 27.02.2022

Schlittschuhlaufen anno 1955 in Mutschelbach

Bericht von Werner Ries, Mutschelbach

Als knapp 13jähriger kaufte ich 1955 mit mühsam zusammengespartem Geld von einem älteren Jungen ein Paar Schlittschuhe (für Erwachsene); übrigens das gleiche Modell wie das im Heimatmuseum (im Bild) ausgestellte.


Modell „Merkur“ der Firma Engels aus Remscheid,
ausgestellt im Heimatmuseum Karlsbad

Im Volksmund damals als "Absatzreißer" bekannt. Dieser Name kam daher, weil sich beim Befestigen an den Schuhen eine Kralle in den Absatz bohrte. Wenn man sich dann beim Fahren mit der Schlittschuhspitze abstieß um Fahrt aufzunehmen, machte sich meist nach wenigen Versuchen der Absatz selbständig. Auch war mein Budget damals sehr bescheiden. Ich konnte nur 2 Mark anzahlen und blieb noch 1 Mark schuldig. Das nächste Problem war, dass meine Schuhe viel zu klein waren, um die Schlittschuhe daran zu befestigen. Die einzigen Schuhe die in Frage kamen, besaß mein Vater. Er war im Postamt Pforzheim bei der Paketabfertigung beschäftigt. In schwach beheizter, zugiger Halle mit Betonboden im damals bitterkalten Januar versah er seinen Dienst. Daher schätzte mein Vater seine Halbstiefel sehr; schließlich war er mit Erfrierungen an beiden Füßen aus Russland zurückgekommen. In diesen Schuhen war genügend Platz für dicke Socken, Karton-und Zeitungspapiereinlagen, um einigermaßen warme Füße zu haben.

Mit meinen „neu“ erworbenen Schlittschuhen wartete ich nun sehnsuchtsvoll bis mein Vater gegen 12:30 Uhr von der Frühschicht mit dem Fahrrad, mit welchem er täglich nach Kleinsteinbach zum Bahnhof und zurück fuhr, heimkam. Ich konnte es kaum erwarten, bis er sich nach dem Essen ins Schlafzimmer begab, um etwas zu schlafen, da er um 18:00 Uhr wieder zum Nachtdienst musste. Heimlich schnappte ich mir Vaters Schuhe samt Schlittschuhe und eilte zum zugefrorenen Bocksbach bei der Wilhelmsbrücke.


Hier war früher der Mutschelbacher Eistreff!

Jedoch herrschte bei der Brücke so ein reges Treiben, dass ich mit meinen Kameraden zum Ortsausgang Richtung Kleinsteinbach fuhr. Dort waren wir ungestört und es schauten auch keine Steine hervor, denn der Bach war dort tiefer. Es kam dann nach kurzer Zeit wie‘s kommen musste, ich brach ein und stand bis zu den Hüften im eiskalten Wasser. Als mich zuhause dann meine Mutter entdeckte, mit kurzen Hosen und selbstgestrickten langen Strümpfen, steifgefroren, erklärte sie mir, dass ich mir jetzt wahrscheinlich den Tod geholt hätte. Sie packte mich aber dennoch mit einer Wärmflasche ins Bett. Unbemerkt schaffte ich es noch, Vaters nasse Schuhe auf 2 Holzscheite ganz nach hinten im offenen Backofen des Herdes zu platzieren in der Hoffnung, er kann in trockenen Schuhen zur Nachtschicht fahren. Ich hatte jedoch die Backofentemperatur total unterschätzt, denn als ich gegen 17:00 Uhr nach den Schuhen schaute, waren diese dermaßen „verkokelt“, dass man sie problemlos zu Granulat hätte verarbeiten können. Anschließend versteckte ich mich im warmen Stall bei den Kühen, bis sich der tobende Vater in Halbschuhen mit seinem Fahrrad auf den Weg zum Zug gemacht hatte.

Ich glaube, es vergingen dann 4-5 Tage, bis wir uns wieder gesehen haben, denn solche Sachen wurden „ordentlich“ bestraft. Auch mein Geburtstag ein paar Tage später war ein stinknormaler Tag, es gab nix! Wenigstens hat  mir der Schlittschuhverkäufer meine Schulden halbiert; ich brauchte nur noch 50 Pfennig zurückzahlen.

Wir danken Werner Ries für seine aufschlussreiche Geschichte, die zeigt wie beschwerlich und hart das Leben in den 50er Jahren war, andrerseits aber auch abenteuerlich und spannend. Und es gab im Winter noch Eis zum Schlittschuhlaufen und noch keinen Klimawandel!